Den Start der Plädoyers machten Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot und Staatsanwalt Nikolaus Forschner.
Thomas Frey/dpa
Den Start der Plädoyers machten Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot und Staatsanwalt Nikolaus Forschner.
Geplante Lauterbach-Entführung

Anklage fordert lange Haft für Umsturz- und Entführungspläne

Sie sollen die Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach und den Sturz der Regierung geplant haben. Dafür fordert die Bundesanwaltschaft hohe Haftstrafen - aber nicht für alle Angeklagten.

Im Prozess um Pläne für einen Umsturz und die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Anklage lange Haftstrafen für vier der fünf Angeklagten gefordert. Alle fünf seien wegen der Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund schuldig zu sprechen, sagten die Vertreter der Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Koblenz.

Konkret forderten sie für vier der Angeklagten Haftstrafen zwischen sechs Jahren sowie acht Jahren und neun Monaten. Bei ihnen stehen weitere Vorwürfe im Raum, wie etwa auch die Gründung der Gruppe und Verstöße gegen Waffengesetze. Dem fünften Angeklagten schrieb die Anklage eine untergeordnete Rolle in der Gruppe zu. Für ihn forderten sie drei Jahre und sechs Monate Haft. 

Wer sind die Angeklagten?

Der Prozess gegen die vier Männer im Alter von 45 und 57 Jahren und die 77 Jahre alte Frau läuft bereits seit Mai 2023. Ihnen wird vorgeworfen, eine Terrorvereinigung mit dem Namen «Vereinte Patrioten» gegründet zu haben oder darin Mitglied gewesen zu sein. Sie sollen einen Stromausfall, die Entführung von Lauterbach und die Einführung einer neuen Verfassung nach dem Vorbild des Kaiserreichs 1871 geplant haben.

Einer der Angeklagten ist der aus Brandenburg stammende Sven Birkmann, der mit vollem Namen genannt werden möchte. Bei der Frau handelt es sich um eine früher in Mainz tätige Lehrerin. 

«Katastrophe nationaler Tragweite»

Die Bundesanwaltschaft sprach in ihrem Plädoyer von teils rassistischen, antisemitischen und verschwörungsideologischen Ansichten einiger Angeklagter. Trotz ihres dilettantischen Vorgehens dürfe die von der Gruppe ausgehende Gefahr nicht unterschätzt werden.

«Die Aktivitäten der Angeklagten zielten darauf ab, auch unter Einsatz von Waffengewalt, die bestehenden staatlichen Strukturen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen», sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot. Sie habe Verfassungshochverrat begehen wollen. Die Pläne seien geeignet gewesen, «eine Katastrophe nationaler Tragweite herbeizuführen».

«Drei Bausteine der geplanten Revolution»

Staatsanwalt Nikolaus Forschner beschrieb in seinem Schlussvortrag «drei Bausteine der geplanten Revolution», die die Angeklagten als «Klabautermann», «Silent Night» und als eine konstituierende Versammlung bezeichnet haben sollen. Für jeden der Bausteine sei eine oder einer der Angeklagten zuständig gewesen. 

Hinzu kommen demnach noch eine geplante Fahrt mit dem Schiff nach Russland und eine False-Flag-Aktion mit einem Schauspieler. So habe die Gruppe vorgehabt, über die Ostsee nach Kaliningrad zu reisen und um ein Gespräch mit Präsident Wladimir Putin zu beten. Davon habe man sich die Unterstützung Russlands für den neuen deutschen Staat erhofft, sagte Staatsanwalt Nikolaus Forschner.

Teil eins: «Klabautermann»

In diesem Teil des Plans sei es um die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) aus einer Live-Talkshow gegangen, erklärte Forschner. Lauterbach sei zuvor als «meistgehasste Führungspersönlichkeit» in einer Umfrage in Chats ausgewählt worden.

Bei dieser «öffentlichkeitswirksamen Entführung» sei auch geplant gewesen, Lauterbach einen von der Gruppe verfassten Haftbefehl vorzulesen. «Sämtlichen Mitgliedern der Vereinigung war bewusst, dass mit bewaffneter Gegenwehr der Personenschützer zu rechnen war», sagte Forschner. «Einen Tod der Personenschützer nahmen sie mindestens billigend in Kauf.»

Teil zwei: konstituierende Versammlung und False Flag

Zeitgleich habe laut Anklage ein Parallelparlament zusammentreten sollen. In einer konstituierenden Sitzung sei hier geplant gewesen, die Verfassung von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Zudem sollte in der sogenannten False-Flag-Aktion ein Schauspieler live im Fernsehen als Bundespräsident oder Bundeskanzler auftreten und die Absetzung der Regierung sowie die neue Verfassung verkünden, wie der Staatsanwalt sagte. 

Teil drei: «Silent Night» und Stromausfall

Anschließend habe die Gruppe geplant, durch Anschläge auf die Infrastruktur einen mindestens zweiwöchigen Stromausfall herbeizuführen, hieß es in dem Plädoyer weiter. Sie habe beabsichtigt, die Arbeit der Regierung und der Medien zu erschweren und die Bevölkerung «auf sich selbst zurückzuwerfen». 

Reichsbürger-Ideologie verbreitet

Die Reichsbürger-Ideologien der 77 Jahre alten Angeklagten waren auch in der Verhandlung immer wieder Thema. Sie hatte an mehreren Verhandlungstagen «Reichsbürger»-Ideologien und Verschwörungstheorien verbreitet. Sogenannte Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der ehemaligen Lehrerin war aufgrund ihres «Reichsbürger»-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden. 

Nach Ansicht der Anklage radikalisierten sich die anderen Angeklagten erst mit Ausbruch der Corona-Pandemie und den anschließenden Maßnahmen. Die Angeklagten hatten in dem langen Verfahren ausgesagt - und teils die Pläne zugegeben. Allerdings sprachen sie auch immer wieder nur von unvollendeten Plänen und keinen konkreten Umsetzungen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss gilt die Unschuldsvermutung.

Urteil im kommenden Jahr erwartet

Entscheidend für ein Urteil wird sein, wie konkret und fortgeschritten das Gericht die Pläne einstuft. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, werden für die Höhe der Strafen auch die Rollen, die das Gericht den jeweiligen Angeklagten zuschreibt, wichtig.

Einer der Angeklagten etwa sitzt nicht mehr in Untersuchungshaft und spielte laut Anklage «keinesfalls eine prägende Rolle». Die Anklage bezeichnete hingegen die 77-jährige Frau als ideologische Vordenkerin und Autoritätsperson der Gruppe. Sie schätzt sie - wie auch ein Gutachter - als voll schuldfähig ein. Am Donnerstag stehen weitere Plädoyers an. Mit einem Urteil wird nicht mehr vor Weihnachten, sondern erst im kommenden Jahr gerechnet.

von Mona Wenisch, dpa
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