"Nicht meckern, machen": So schwört Kanzler Scholz seine Partei auf den Wahlkampf ein.
Kay Nietfeld/dpa
"Nicht meckern, machen": So schwört Kanzler Scholz seine Partei auf den Wahlkampf ein.
SPD-Wahlkampfauftakt

Scholz schwört SPD auf harten Wahlkampf ein

«Jetzt geht es um das Ganze.» Mit diesen Worten läutet SPD-Kanzlerkandidat Scholz den Wahlkampf ein. Bei seiner Wahl zum Direktkandidaten bekommt er aber nicht die volle Rückendeckung seiner Partei.

Rund drei Monate vor der Bundestagswahl hat der Kanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz seine Partei auf eine Aufholjagd im Wahlkampf eingeschworen. In seiner ersten großen Wahlkampfrede vor etwa 500 Parteimitgliedern in Berlin wertete er die Wahl am 23. Februar als Richtungsentscheidung zwischen einem «Von hier aus zurück»-Konservatismus der Union und der SPD als «Kraft der Mitte» in Deutschland, die für «gesunden Menschenverstand» stehe. 

«Jetzt geht es um das Ganze», sagte Scholz in seiner einstündigen Rede, für die er lange anhaltenden Applaus erntete. Wenn man jetzt falsch abbiege, dann habe das schwerwiegende Folgen. Er werde in den nächsten 85 Tagen alles geben für das Land und die Sozialdemokratie. «Besinnen wir uns auf unsere Kraft: Nicht meckern, machen. Gemeinsam kämpfen», sagte er zum Abschluss seiner Rede. «Wenn wir kämpfen, werden wir siegen. Freundschaft.»

SPD will Kandidatenstreit hinter sich lassen

Scholz war am Montag vom Parteivorstand einstimmig als Kanzlerkandidat nominiert worden. Vorausgegangen war eine zweiwöchige Debatte darüber, ob der laut Umfragen deutlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius als Ersatzkandidat für Scholz eingewechselt werden soll, der nach dem Scheitern seiner Ampel-Regierung politisch angeschlagen ist. Mit der «Wahlsiegkonferenz» in Berlin, zu der Kandidatinnen und Kandidaten mit ihren Teams eingeladen wurden, wollte die Partei den Streit nun hinter sich lassen und nach vorne schauen. 

Scholz hat sich zum Ziel gesetzt, die SPD - wie schon vor drei Jahren - wieder zur stärksten Kraft im Bundestag zu machen. Derzeit liegt sie in Umfragen aber 16 bis 22 Prozentpunkte hinter der Union. Für die Aufholjagd bleiben bis zur Wahl am 23. Februar nur noch 85 Tage.

Scholz zu Lindner: Regierungsarbeit «systematisch sabotiert» 

Scholz begann seine Rede mit Angriffen auf FDP-Chef Christian Lindner, den er Anfang November als Finanzminister gefeuert und damit das Ende der Ampel-Koalition besiegelt hatte. In ernsten Zeiten brauche Deutschland ernsthafte Politik und «keine Spieler und keine Zocker». Lindner und seine FDP hätten die Arbeit der Ampel-Regierung über Monate hinweg «systematisch sabotiert». «Sie wollten aktiv verhindern, dass diese Bundesregierung erfolgreich ist», sagte Scholz. «So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren.»

Industriearbeitsplätze, Mindestlohn, stabile Renten

Scholz nannte vier Punkte, für die er ihm im Wahlkampf werben will, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen: Sicherung von Industriearbeitsplätzen, vor allem in der schwer angeschlagenen Autoindustrie, günstige Energie für die Wirtschaft, verstärkte Investitionen in Infrastruktur, Kampf gegen den Fachkräftemangel. Um Investitionen zu ermöglichen, will Scholz die Schuldenbremse reformieren.

Scholz warb für eine weitere Anhebung des Mindestlohns und sagte, dass es stabile Renten und bezahlbares Wohnen nur mit der SPD gebe. Er betonte, dass die Ampel-Regierung beim Kampf gegen irreguläre Einwanderung weit vorangekommen sei. 

«Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette»

Scholz will im Wahlkampf aber auch mit seiner Doppelstrategie im Ukraine-Krieg punkten. Er sichert der Ukraine einerseits anhaltende Waffenlieferungen zu, will aber gleichzeitig eine Verwicklung der Nato in den Krieg mit Russland verhindern. Deswegen lehnt er die Bereitstellung der von Kiew seit langer Zeit geforderten Marschflugkörper des Typs Taurus ab. 

Seinem Herausforderer Friedrich Merz warf er eine riskante Linie in der Ukraine-Politik vor. Der Unions-Kanzlerkandidat wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche Taurus-Lieferung ein Ultimatum stellen, so Scholz. «Ich kann da nur sagen Vorsicht: Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette», sagte er. «Ich bleibe standhaft und besonnen, darauf können sie sich verlassen.»

93,2 Prozent bei Wahl zum Direktkandidaten

Nach der Konferenz wurde Scholz in seinem Wahlkreis in Potsdam zum Direktkandidaten gewählt. 69 Delegierte stimmten für ihn, es gab aber auch vier Gegenstimmen und eine Enthaltung. Das entsprach 93,2 Prozent Zustimmung. Ein Delegierter kritisierte den Kanzler in der Aussprache für seine Ukraine-Politik und warf ihm vor, den Abwehrkampf gegen Russland zu wenig und zu zögerlich unterstützt zu haben. «Warum solltest Du trotzdem Bundeskanzler bleiben?», fragte er. Scholz verteidigte auch dort seinen Kurs. 

Scholz hatte das Direktmandat in seinem Wahlkreis 2021 mit 34,0 Prozent der Stimmen gewonnen. Er setzte sich damit klar gegen die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen und heutige Außenministerin Annalena Baerbock durch. Sie kam nur auf 18,8 Prozent und tritt diesmal wieder gegen Scholz an.

Kanzlerkandidatur muss noch bestätigt werden

Scholz' Kanzlerkandidatur muss noch auf dem Parteitag am 11. Januar bestätigt werden. Das gilt als Formsache. Scholz muss sich aber an seinem Ergebnis vom Mai 2021 – gut vier Monate vor der Bundestagswahl – messen lassen. Damals wurde er mit 96,2 Prozent der Stimmen bestätigt. 

Die SPD lag zu diesem Zeitpunkt wie heute in den Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent. Erst ein als unangemessen empfundener Lacher des Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet in einem Flutgebiet brachte im Sommer die Wende: Die SPD wurde schließlich mit 25,7 Prozent noch stärkste Kraft.

Klingbeil: «Wir sind eine Partei für die Aufholjagd»

Parteichef Lars Klingbeil rief die SPD auf, sich nicht von den Umfragen beeinflussen zu lassen. «Hört nicht auf die Umfragen, hört nicht auf die Artikel, die jetzt geschrieben werden», sagte er. «Wenn die SPD etwas kann, dann ist das kämpfen. Wir sind eine Partei für die Aufholjagd.»

Einen ersten Hoffnungsschimmer für Scholz und die SPD gab es mit einer Insa-Umfrage im Auftrag der «Bild»: Danach würden nun 22 Prozent der Menschen in Deutschland Scholz direkt zum Kanzler wählen - plus 7 Prozentpunkte im Vergleich zur Vorwoche vor der Kandidatenkür. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz liegt mit 30 Prozent (minus 1) aber weiter vorn, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck rutscht auf 16 Prozent (minus 2) ab und damit auf Platz 3. Bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl liegt die SPD in dieser Umfrage aber weiterhin 17 Prozentpunkte hinter der Union (15 Prozent zu 32 Prozent).

Von Michael Fischer, Verena Schmitt-Roschmann, Jörg Ratzsch und Andreas Hoenig, dpa
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