Ein Jahr legal Kiffen – was hat sich im Land verändert?
Neue Clubs, entlassene Häftlinge und mehr medizinisches Marihuana: Seit der Legalisierung von Cannabis haben sich in Rheinland-Pfalz viele Dinge gewandelt. Wo steht das Land nach einem Jahr?
Neue Clubs, entlassene Häftlinge und mehr medizinisches Marihuana: Seit der Legalisierung von Cannabis haben sich in Rheinland-Pfalz viele Dinge gewandelt. Wo steht das Land nach einem Jahr?
«Wann Bubatz legal?» – die noch vor einem Jahr beliebte Frage ist seit April 2024 beantwortet. Seit einem Jahr ist der Cannabis-Konsum in Deutschland erlaubt, auch in Rheinland-Pfalz. Was hat sich verändert?
Seit wann gelten die neuen Regeln und wie lauten sie?
Die von der damaligen Ampel-Koalition im Bund beschossene Teillegalisierung von Cannabis zu Genusszwecken gilt seit April 2024. Seitdem ist das Kiffen für Volljährige erlaubt, allerdings nicht im direkten Umfeld beispielsweise von Schulen oder Spielplätzen. Erwachsene ab 18 Jahren dürfen bis zu 25 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen und mit sich führen. Seit Juli vergangenen Jahres dürfen außerdem Cannabis-Anbauvereine für den gemeinschaftlichen Anbau und die Weitergabe von Cannabis zugelassen werden.
Welche Auswirkungen hatte die Legalisierung auf Häftlinge?
Im Zuge der vor etwa einem Jahr in Kraft getretenen Teillegalisierung von Cannabis sind in Rheinland-Pfalz insgesamt 65 Personen vorzeitig aus dem Gefängnis gekommen (Stand: 20.3.2025). Bei ihnen habe der sogenannte rückwirkende Straferlass gegriffen, teilte das Justizministerium in Mainz auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Elf Personen davon seien schon direkt mit Inkrafttreten der neuen Regelungen am 1. April 2024 aus einer Vollzugseinrichtung entlassen worden. 51 kamen aufgrund einer Anpassung der Strafzeit seitdem früher wieder auf freien Fuß.
Eine solche nachträgliche Verkürzung einer Haftzeit war dem Ministerium zufolge etwa dann erforderlich, wenn die Cannabis-Straftat nur einen Teil einer ausgeurteilten Gesamtstrafe ausmachte. Bei drei Untersuchungshäftlingen schließlich wurden Haftbefehle aufgrund der neuen Gesetzeslage aufgehoben.
Wie wirkte sich die Regelung auf Strafverfahren aus?
Allein in Rheinland-Pfalz mussten im Zuge der neuen Gesetzgebung knapp 10.000 Verfahren von den Staatsanwaltschaften überprüft werden. 5.350 Verfahren legten die Staatsanwaltschaften den Gerichten vor. Diese müssen entscheiden, wenn es um eine mögliche Änderung einer schon abgeurteilten Gesamtgeld- oder Gesamtfreiheitsstrafe geht.
Bei etwa 2.500 Verfahren änderten die Gerichte nichts, hier wirkte sich das neue Gesetz nicht auf die Strafbemessung aus. Bei bisher 2.450 Fällen wurde die Strafe geändert, in der Regel wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe verringert. Bei etwa 400 Verfahren läuft die Prüfung noch (Stand: Mitte Februar 2025).
In schätzungsweise 900 Verfahren stellten laut Justizministerium die Staatsanwaltschaften selbst die laufende Vollstreckung ein, beendeten also eine Haft oder erließen eine Geldstrafe. Das waren Fälle, in denen es sich nicht um Gesamtstrafen für mehrere Straftaten drehte.
Wie verfolgt die Medizin die Diskussion seit der Teilfreigabe?
«Die Cannabis-Diskussion wird davon beeinflusst, dass Rauschmittel in jeder Zivilisation Teil der Gesellschaft sind - wobei Alkohol bei uns als akzeptiert gilt», sagt Prof. Simon Nagel, Direktor der neurologischen Klinik in Ludwigshafen. Alkohol sei in Bezug auf akute Risiken jedoch gefährlicher. «Intoxikation oder Entzug können zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen, während Cannabis hauptsächlich psychiatrische Probleme wie Angstzustände oder Psychosen verursacht.» Alkohol sei demnach deutlich schädlicher als Cannabis – wobei Menge und Häufigkeit des Konsums entscheidend seien.
Aus medizinischer Sicht gebe es somit kein dringendes Argument, die Verfügbarkeit von Cannabis nicht auf das Niveau von Alkohol anzunähern, meint Nagel, sofern man die Risiken gesellschaftlich akzeptiere.
Cannabis schädige bei hohem Konsum das Gehirn junger Menschen, jedoch tue Alkohol dies auf lange Sicht deutlich mehr. Gegner der Cannabis-Teilfreigabe sollten darauf hinweisen, dass dann auch Alkohol in Menge und Stärke reguliert werden müsse. Grundsätzlich sollten Jugendliche aus medizinischer Sicht weder Cannabis noch Alkohol konsumieren, da beides schädlich sei.
Wie entwickelt sich der Markt mit medizinischem Cannabis?
Dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte zufolge ist die Einfuhr von Cannabis zu medizinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken in Form getrockneter Blüten deutlich gestiegen, wie der Sprecher des Gesundheitsministeriums, David Freichel, berichtet. Demnach wurden im vierten Quartal des vergangenen Jahres 31,7 Tonnen getrocknete Cannabisblüten für die medizinische Nutzung importiert - fast 291 Prozent mehr als im ersten Quartal (8,1 Tonnen).
Vor allem bei Selbstzahlern sei ein starker Anstieg der Verschreibungen zu beobachten. Dem Verband der Cannabis versorgenden Apotheken zufolge entfielen derzeit rund 80 Prozent der eingelösten Cannabis-Rezepte auf Selbstzahler. Während bei kassenfinanzierten Rezepten vor allem Cannabis-Extrakte und Fertigarzneimittel abgegeben würden, griffen Selbstzahler überwiegend zu Cannabis-Blüten. Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) hatte früher bereits gesagt, dass er bei den Regelungen zum medizinischen Cannabis noch Nachholbedarf sieht.
Wie viele Cannabis-Clubs gibt es mittlerweile?
42 Anträge auf Erlaubniserteilung für den Betrieb einer Cannabis-Anbauvereinigung sind bis Ende März beim zuständigen Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung eingegangen. 20 Anträge seien bewilligt und einer abgelehnt worden, berichtete eine Sprecherin.
Ein Antrag sei wegen der Zuständigkeit an ein anderes Bundesland weitergegeben worden, die anderen würden noch geprüft. Dazu gehört auch die Besichtigung der Gegebenheiten vor Ort. Drei Anbauvereinigungen haben bereits geerntet. Das Landesamt werde in den Anbauvereinigungen entsprechend der Gesetzeslage regelmäßig kontrollieren.
Welche Bilanz zieht die erste genehmigte Anbaugemeinschaft?
«Besonders zufrieden sind wir mit dem starken Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft und der großen Nachfrage nach verantwortungsvoll produziertem Cannabis», meint Carsten Boge, Vorstand der Anbaugemeinschaft SüdWest e.V. in Lambrecht/Pfalz. Der Verein hatte 2024 die erste rheinland-pfälzische Betriebserlaubnis für Cannabis erhalten. «Das Interesse an unserer Arbeit ist kontinuierlich gewachsen», so Bode, «was zeigt, dass unser Modell eine echte Alternative zum Schwarzmarkt darstellt.»
Leider gebe es in anderen Bundesländern «deutlich höhere Hürden» als in Rheinland-Pfalz. «Der gesellschaftliche Wandel hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis ist im Alltag vieler Menschen längst angekommen – in Teilen der Politik jedoch offenbar noch nicht», erklärt Boge. «Hier wünschen wir uns mehr Offenheit und den Mut, neue Wege nicht nur gesetzlich zu ermöglichen, sondern auch aktiv zu unterstützen.»
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